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Classcraft: Gamification im Klassenzimmer

Motivation

Seit Beginn meiner Lehrertätigkeit hat mich das Thema «Schwierige SchülerInnen» immer begleitet. Es bestimmt Gespräche im Lehrerzimmer und dominiert Inhalte von Team- und Stufensitzungen. Mich persönlich hat dabei immer gestört, dass negative Verhaltensweisen in den Fokus gerückt werden und nahezu die gesamte Aufmerksamkeit generieren, während positive Eigenschaften als selbstverständlich abgetan und kaum beachtet werden.

Als ich zu Beginn des Schuljahres 20/21 erstmals eine eigene Klasse übernehmen sollte, wollte ich das ändern.

Was ist Classcraft?

Bei Classcraft handelt es sich um ein digitales «Belohnungssystem», das in seinen Grundprinzipien auf dem Computerspiel «World of Warcraft» beruht. Es bietet Lehrpersonen die Möglichkeit, nach eigens festgesetzten Kriterien, positives Verhalten mit der Addition sogenannter XP’s (Experience Points – Erfahrungspunkte) zu belohnen und negative Verhaltensweisen durch den Abzug sogenannter HP’s (Healthpoints – Lebenspunkte) zu bestrafen.

Mit dem Zugewinn von XP’s können die Jugendlichen in höhere Level aufsteigen und so «Belohnungen» für sich freischalten.

Ein Abzug von HP’s führt hingegen zu Sanktionen, die ebenfalls frei gewählt werden können.

Vorbereitung

Als Vorbereitung musste ich zunächst die Regeln festsetzen und somit definieren, wie viele Punkte ich für die einzelnen Verhaltensweisen addieren bzw. abziehen möchte. Hierfür ist es beinahe unerlässlich, eine Gewichtung vorzunehmen. Was bei den negativen Vorkommnissen noch recht leicht fällt, stellt auf der Seite der Belohnungen eine etwas grössere Herausforderung dar. An dieser Stelle ist es sehr hilfreich, dass Classcraft in den Grundeinstellungen bereits hilfreiche Tipps und Anregungen bietet.

(Screenshot: Belohnungen)
(Screenshot: Sanktionen)

Da es mir, wie bereits erwähnt, sehr wichtig war, positives Verhalten zu honorieren und den Schülerinnen und Schülern somit einen Anreiz zu liefern, aktiv an ihrem Arbeits- und Sozialverhalten zu arbeiten, habe ich die Belohnungen für einen Levelaufstieg gemeinsam mit den Lernenden erarbeitet. Auf diese Weise konnte ich sichergehen, dass die gesetzten «Belohnungen» auch wirklich «Belohnungen» sind, für die sich das Benehmen lohnt. Neben den selbst festgesetzten «Belohnungen» bietet Classcraft auch voreingestellte «Goodies», die insbesondere die Charaktere der Lernenden betreffen und zusätzliche Anreize schaffen sollen.

Einführung des Belohnungssystems

Nach den notwendigen Voreinstellungen konnte ich das Belohnungssystem in der Klasse einführen. Hier ist es sehr hilfreich, wenn die Schülerinnen und Schüler über ein eigenes Microsoft-Konto verfügen. Mit diesen Zugangsdaten gestaltete sich die Erstellung der einzelnen Schülerkonten bei Classcraft unkompliziert und schnell. Die Jugendlichen haben die Möglichkeit einen eigenen Charakter zu erstellen, dessen Aussehen selbst gewählt und variiert werden kann.

Es gibt «Magier», «Krieger» und «Heiler», die sich in ihren Fähigkeiten unterscheiden. Im Gegensatz zu anfänglichen Befürchtungen konnten sich die Lernenden aber sehr gut entscheiden und hatten keine Schwierigkeiten mit den voreingestellten Unterschieden.

Das Belohnungssystem bietet die Möglichkeit MitschülerInnen im eigenen Team vor Strafen zu schützen, indem man sogenannte AP’s (Attackpower – ?) «opfert». Da ich das Klassenklima stärken wollte, habe ich mich dagegen entschieden, die Klasse in unterschiedliche Teams einzuteilen. Stattdessen gibt es nur ein Team, welches aus der gesamten Klasse besteht.

Jeder Jugendliche beginnt das Spiel auf der untersten Stufe, was bedeutet, dass er/sie alleine sitzen muss und keine Vorteile hat. Das Spiel ist auf 3 Jahre angelegt und mit jedem Levelaufstieg können sich die Lernenden die selbst gewählten Belohnungen «verdienen». Da es bei Classcraft nicht möglich ist, Schüler nach verlorenen HP`s Level abzustufen, behalten die Jugendlichen das erarbeitete Level auch nach Regelverstössen, was ich zu Beginn sehr schwierig fand. Da man die automatische Regeneration der Lebenspunkte (HP’s) aber selbst festlegen kann, habe ich die zusätzliche Regel aufgestellt, dass ein Abzug von HP automatisch ein Zurückfallen auf die unterste Stufe bedeutet, solange bis die Lebenspunkte wieder vollständig aufgefüllt sind.

Umsetzung im Schulalltag

Die Zweifel an den Integrationsmöglichkeiten von Classcraft in den schulischen Alltag waren anfangs zugegebenermassen sehr gross. Hier war die sehr gute digitale Ausstattung unseres Schulhauses jedoch eine grosse Hilfe. Punkte können transparent und schnell vergeben oder abgezogen werden. Darüber hinaus bietet das Dashboard von Classcraft viele Tools wie Timer, Stoppuhr, Zufallsgenerator, Quiz oder Lautstärkeregler die im Unterrichtsalltag sehr nützlich sein können.

(Screenshot: Unterrichtstools)

Ausserdem können Aufgaben über das digitale Belohnungssystem erteilt werden. Diese können als einzelne Etappenziele einer Reise angelegt werden, was es Lehrpersonen ermöglicht, ganze Wochenpläne über Classcraft zu erstellen.

(Screenshot: Aufgaben)

Auch hier können nach Fertigstellung einer Aufgabe Punkte vergeben werden, was die Motivation der Lernenden positiv beeinflussen kann. Die Möglichkeit, die Schülerinnen und Schüler im eigenen Tempo fortfahren zu lassen, begünstigt ausserdem die Individualisierung innerhalb der Klasse.

Classcraft gibt es auch als App fürs Handy. Für Lehrpersonen ist es so ziemlich leicht, Punkte schnell zu verteilen oder abzuziehen und Fortschritte zu sehen. Zudem können Schülerinnen und Schüler auch mobil «weiterspielen».

Classcraft bietet darüber hinaus auch weitere Dienste wie die Kommunikationsmöglichkeit mit Eltern und Lernenden, To-Do-Listen, Benachrichtigungen und Spiel-Feeds, die ich persönlich aber nicht nutze, da bei uns Microsoft Teams und Klapp als Kommunikationsmittel festgelegt wurden.

Fazit nach einem Jahr

Nach anfänglichen Zweifeln muss ich zugeben, dass meine Schülerinnen und Schüler begeistert sind. Die Lernenden lieben ihre Charaktere und die Möglichkeit durch einen Levelaufstieg Pets (Tiere) und neue Ausrüstung für ihren Avatar zu «gewinnen». Strafen durch den Verlust von Lebenspunkten werden durch den anfänglich unterschriebenen Vertrag, diskussionslos hingenommen und das gegenseitige Retten von MitschülerInnen hatte zudem positive Auswirkungen auf das Klassenklima.

Direktes Feedback kam auch von den Eltern, die diese System lieben, weil ihre Kinder so begeistert sind und gerne zur Schule gehen. Eine Mutter hat sich bei mir bedankt, dass ihr Sohn meinetwegen oder vielmehr wegen diesem System nach 6 Jahren zum ersten Mal gerne zur Schule geht.

Einen Nachteil sehe ich darin, dass das System zunächst hauptsächlich in «meinen» Stunden zum Einsatz kommt, da viele andere Lehrpersonen den Einsatz zunächst gescheut haben. Hier war es jedoch interessant zu beobachten, dass die Lehrpersonen, die das System nicht angewendet haben, über mangelnde Disziplin der Jugendlichen klagen. Hier musste ich insofern nacharbeiten, dass «meine» SchülerInnen für Fehlverhalten bei Fachlehrpersonen ebenfalls durch mich sanktioniert werden. Hier stosse ich jedoch an Grenzen, wenn zuständige Fachlehrpersonen das Fehlverhalten nicht kommunizieren. Zu meinem Erstaunen hat sich das Mitwirken der Fachlehrpersonen jedoch im Laufe des Jahres erhöht und meine anfänglichen Zweifel, ob das System bei den SuS positiv aufgenommen wird, wurden widerlegt. Die Reaktionen sind durchweg positiv und die anfängliche Euphorie ebbt auch bis dato nicht ab.

Zu Classcraft:

  • Abgesehen von Einführungen und Bezeichnungen, wie die Tools, ist alles auf Deutsch möglich.
  • Die Basisversion die ich spiele ist gratis. Das Upgrade kostet 120 $ im Jahr.

Marina Wöfle, Sekundarlehrerin & iScout an der VSG Diessenhofen

1 Comment

  1. Dominik Niedermann

    Wow, ich habe mich sehr gefreut, wieder einmal jemanden zu finden, der Classcraft ebenfalls einsetzt. Seit dem Release der neuen Version sieht einiges optisch leicht anders aus und die HP heissen auch nicht mehr so. Das Grundprinzip bleibt aber dasselbe.

    Ich habe seit etwa 4 Jahren Erfahrungen mit Classcraft auf der Mittelstufe gesammelt und konnte bei wechselnden Fachlehrpersnen den gleichen Effekt beobachten. Anfängliche Skepsis weicht bald Begeisterung und Dankbarkeit darüber, ein Tool mitnutzen zu können, das gute Effekte erzielt.

    Leider lassen sich die Verbingungen zwischen verschiedenen Lehrkräften nur noch via Schullizenz herstellen, das ging in der alten Version auch mit der Gratisvariante.

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